Lyrik
Oliver Welke, heute-show-Moderator
EU,
wozu?
Joseph von Eichendorff, Die Wünschelrute
Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
Und die Welt fängt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort
Joseph von Eichendorff, Der Abend
Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewusst,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.
Johann Wolfgang Goethe, Erlkönig
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.
"Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?"
"Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?"
"Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif."
"Du liebes Kind, komm', geh' mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."
"Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht?"
"Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!
In dürren Blättern säuselt der Wind."
"Willst, feiner Knabe, du mit mir geh'n?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."
"Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?"
"Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau."
"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt."
"Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan!"
Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
Freidrich Schiller, An die Freude
Erste Strophe in der Version von 1808:
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elisium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.
Theodor Storm, Gedenkst Du noch?
Gedenkst du noch, wenn in der Frühlingsnacht
Aus unserm Kammerfenster wir hernieder
Zum Garten schauten, wo geheimnisvoll
Im Dunkel dufteten Jasmin und Flieder?
Der Sternenhimmel über uns so weit,
Und du so jung; unmerklich geht die Zeit.
Wie still die Luft! Des Regenpfeifers Schrei
Scholl klar herüber von dem Meeresstrande;
Und über unsrer Bäume Wipfel sahn
Wir schweigend in die dämmerigen Lande.
Nun wird es wieder Frühling um uns her,
Nur eine Heimat haben wir nicht mehr.
Nun horch ich oft, schlaflos in tiefer Nacht,
Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen.
Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut,
Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!
Nach drüben ist sein Auge stets gewandt:
Doch eines blieb - wir gehen Hand in Hand.
Friedrich Nietzsche, Der du mit dem Flammenspeere
Der du mit dem Flammenspeere
Meiner Seele Eis zertheilt,
Dass sie brausend nun zum Meere
Ihrer höchsten Hoffnung eilt:
Heller stets und stets gesunder,
Frei im liebevollsten Muss: -
Also preist sie deine Wunder,
Schönster Januarius!
Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden
Bei dem traurigen Anblick nicht sowohl der übel,
die das menschliche Geschlecht aus Naturursachen drücken, als vielmehr derjenigen,
welche die Menschen sich untereinander selbst anthun, erheitert sich doch das Gemüth durch die Aussicht,
es könne künftighin besser werden;
und zwar mit uneigennützigem Wohlwollen, wenn wir längst im Grabe sein und die Früchte,
die wir zum Teil selbst gesät haben, nicht einernten werden."
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Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung
Die Darstellung der Idee der Menschheit, welche dem Dichter obliegt, kann er nun entweder so ausführen, daß der Dargestellte zugleich auch der Darstellende ist:
dieses geschieht in der lyrischen Poesie, im eigentlichen Liede, wo der Dichtende nur seinen eigenen Zustand lebhaft anschaut und ihn objektivirt, wobei daher, durch den Gegenstand, dieser Gattung eine gewisse Subjektivität wesentlich ist:
– oder aber der Darzustellende ist vom Darstellenden ganz verschieden, wie in allen andern Gattungen, wo mehr oder weniger der Darstellende hinter dem Dargestellten sich verbirgt und zuletzt ganz verschwindet.
In der Romanze drückt der Darstellende seinen eigenen Zustand noch durch Ton und Haltung des Ganzen in etwas aus: viel objektiver als das Lied, hat sie daher doch noch etwas Subjektives:
dieses verschwindet schon mehr im Idyll, noch viel mehr im Roman, fast ganz im eigentlichen Epos, und bis auf die letzte Spur endlich im Drama, welches die objektiveste und in mehr als einer Hinsicht vollkommenste,
auch schwierigste Gattung der Poesie ist. Die lyrische Gattung ist ebendeshalb die leichteste, und wenn die Kunst sonst nur dem so seltenen ächten Genius angehört,
so kann selbst der im Ganzen nicht geniale Mensch, wenn in der That, durch starke Anregung von Außen, irgend eine Begeisterung seine Geisteskräfte erhöht, ein schönes Lied zu Stande bringen:
denn es bedarf dazu nur einer lebhaften Anschauung [360] seines eigenen Zustandes im aufgeregten Moment:
dies beweisen viele einzelne Lieder übrigens unbekannt gebliebener Individuen, besonders die Teutschen Volkslieder, von denen wir im Wunderhorn eine treffliche Sammlung haben, und eben so unzählige Liebes- und andre Lieder des Volks in allen Sprachen.
Betrachten wir nun das Wesen des eigentlichen Liedes näher und nehmen dabei treffliche und zugleich reine Muster zu Beispielen, nicht solche die sich schon einer andern Gattung, etwa der Romanze, der Elegie, der Hymne, dem Epigramm u.s.w. irgendwie nähern;
so werden wir finden, daß das eigenthümliche Wesen des Liedes im engsten Sinn folgendes ist.
– Es ist das Subjekt des Willens, d.h. das eigene Wollen, was das Bewußtseyn des Singenden füllt, oft als ein entbundenes, befriedigtes Wollen (Freude),
wohl noch öfter aber als ein gehemmtes (Trauer), immer als Affekt, Leidenschaft, bewegter Gemüthszustand. Neben diesem jedoch und zugleich damit wird durch den Anblick der umgebenden Natur der Singende sich seiner bewußt als Subjekts des reinen, willenlosen Erkennens, dessen unerschütterliche, seelige Ruhe nunmehr in Kontrast tritt mit dem Drange des immer beschränkten, immer noch dürftigen Wollens:
die Empfindung dieses Kontrastes, dieses Wechselspiels ist eigentlich was sich im Ganzen des Liedes ausspricht und was überhaupt den lyrischen Zustand ausmacht. In diesem tritt gleichsam das reine Erkennen zu uns heran, um uns vom Wollen und seinem Drange zu erlösen: wir folgen; doch nur auf Augenblicke: immer von Neuem entreißt das Wollen, die Erinnerung an unsre persönliche Zwecke, uns der ruhigen Beschauung; aber auch immer wieder entlockt uns dem Wollen die nächste schöne Umgebung, in welcher sich die reine willenslose Erkenntniß uns dar[361]bietet. Darum geht im Liede und der lyrischen Stimmung das Wollen (das persönliche Interesse der Zwecke) und das reine Anschauen der sich darbietenden Umgebung wundersam gemischt durch einander: es werden Beziehungen zwischen beiden gesucht und imaginiert; die subjektive Stimmung, die Affektion des Willens, theilt der angeschauten Umgebung und diese wiederum jener ihre Farbe im Reflex mit:
von diesem ganzen so gemischten und getheilten Gemüthszustande ist das ächte Lied der Abdruck. – Um sich diese abstrakte Zergliederung eines von aller Abstraktion sehr fernen Zustandes an Beispielen faßlich zu machen, kann man jedes der unsterblichen Lieder Göthe's zur Hand nehmen: als besonders deutlich zu diesem Zweck will ich nur einige empfehlen:
"Schäfers Klagelied;" "Willkommen und Abschied;" "An den Mond;" "Auf dem See;" "Herbstgefühl:" auch sind ferner die eigentlichen Lieder im Wunderhorn vortreffliche Beispiele: ganz besonders jenes welches anhebt: "O Bremen, ich muß dich nun lassen." – Als eine komische, richtig treffende Parodie des lyrischen Karakters ist mir ein Lied von Voß merkwürdig, in welchem er die Empfindung eines betrunkenen, vom Thurm herabfallenden Bleideckers schildert, der im Vorbeifallen die seinem Zustande sehr fremde, also der willensfreien Erkenntniß angehörige Bemerkung macht,
daß die Thurmuhr eben halb-zwölf weist. – Wer die dargelegte Ansicht des lyrischen Zustandes mit mir theilt, wird auch zugeben, daß derselbe eigentlich die anschauliche und poetische Erkenntniß jenes in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde aufgestellten,
auch in dieser Schrift schon erwähnten Satzes sei, daß die Identität des Subjekts des Erkennens mit dem des Wollens, das Wunder κα&tau' εξοχην genannt werden kann; so daß [362] die poetische Wirkung des Liedes zuletzt eigentlich auf der Wahrheit jenes Satzes beruht.
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Rainer Maria Rilke, Von den Mädchen
I
Andere müssen auf langen Wegen
zu den dunklen Dichtern gehn;
fragen immer irgendwen,
ob er nicht einen hat singen sehn
oder Hände auf Saiten legen.
Nur die Mädchen fragen nicht,
welche Brücke zu Bildern führe;
lächeln nur, lichter als Perlenschnüre,
die man an Schalen von Silber hält.
Aus ihrem Leben geht jede Türe
in einen Dichter
und in die Welt.
II
Mädchen, Dichter sind, die von euch lernen
das zu sagen, was ihr einsam seid;
und sie lernen leben an euch Fernen,
wie die Abende an großen Sternen
sich gewöhnen an die Ewigkeit.
Keine darf sich je dem Dichter schenken,
wenn sein Auge auch um Frauen bat;
denn er kann euch nur als Mädchen denken:
das Gefühl in euren Handgelenken
würde brechen von Brokat.
Laßt ihn einsam sein in seinem Garten,
wo er euch wie Ewige empfing
auf den Wegen, die er täglich ging,
bei den Bänken, welche schattig warten,
und im Zimmer, wo die Laute hing.
Geht!... es dunkelt. Seine Sinne suchen
eure Stimme und Gestalt nicht mehr.
Und die Wege liebt er lang und leer
und kein Weißes unter dunklen Buchen, -
und die stumme Stube liebt er sehr.
..... Eure Stimmen hört er ferne gehn
(unter Menschen, die er müde meidet)
und: sein zärtliches Gedenken leidet
im Gefühle, daß euch viele sehn.
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